Macht und Gelassenheit

Als Wohnende auf der Erde und unter dem Himmel sind wir eingebunden in die Zusammenhänge von Nähe und Ferne, von Geben und Nehmen, von Widrigem und Gutem, von Beschädigtem und Tröstlichem. Unser Da-sein entspricht heute mehr einem technischen Beherrschen, einem Produzieren und Funktionieren als einem aufmerkenden und sinnlich-vernehmenden Wohnen auf der Erde. Dieser herrschende Machtdiskurs mit seinem Berechnen, Rationalisieren, Vernützlichen und Beherrschen bleibt uns nicht vordergründig, sondern geht ins Fleisch, sedimentiert sich in unsere Körper und durchdringt unsere Wahrnehmung mitsamt unseren Gefühlen. Die Imperative lauten „optimiere dich“, „halte dich funktional“ , „folge dem logos!“

Macht ist nicht in erster Linie das, was wir besitzen, sondern vielmehr die Wirkung, die am Selbst erzeugt wird. In diesem Seminar treten wir einen Schritt zurück: Wir explorieren zunächst die machtvollen Strategien herrschender Identitätszuweisungen und lassen uns von ihren Gefühlsmustern – nun bewusst – durchkreuzen.

Als polarer Gegenentwurf antworten wir mit dem erstaunenden, gelassenen, „gewaltlosen Blick“ (Adorno): das Aufmerken , das Sich-ergreifen-lassen im Du kann als machtvolle Praxis der Begegnung in einem Raum der Offenheit gelesen werden – als eine „Offenheit für das Geheimnis“ (Heidegger). Wir erforschen die Linien und Bahnen der Gelassenheit und Hingabe und kontrastieren damit eine andere Form von Macht: eine, die nicht aufzwingt, nicht verrechnend manipuliert und sich nicht regulierend ins Innere hineinschleicht. Eine Form von Macht, die aber keineswegs passiv ist, sondern ein aktives sich-Zulassen und bewusstes Sich-Einlassen auf den Anderen, auf die Welt. Das hier existenzphilosophisch betonte Gestaltverständnis schließt Machtkritik mit ein und zeigt gleichsam neue Formen der Macht auf: in einer herzhaften, bodenbeständigen Begegnung von Du und Welt.